Gedanken zur Sommerzeit 2021 von Schwester M. Michaela Bertsch
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
„Erzählen sie doch einfach, wie es ihnen geht und was sich alles bei ihnen bewegt.“ bat mich ein geschätzter Dekan vor Kurzem. „Erzählen sie doch einfach!“ Ich werde es mal versuchen.
„Wir haben uns lange nicht gesehen.“ so sagen wir oft, wenn wir einander begegnen. Aber wir haben viel telefoniert und Videokonferenzen gehalten. Unzählige Mails geschrieben. Wir Schwestern haben Zeiten der Quarantäne erlebt, in der Stille des Mutterhauses und waren doch sehr beschäftigt. Ja, oft ist das, was uns sehr beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Für uns Schwestern: Der Blick geht zurück, der Blick geht nach vorne, und der Blick geht nach innen. Unser Zusammenleben, unser Austausch und unser Beten ist in den Corona-Zeiten intensiver geworden. Wir nehmen uns anders wahr. Wir schauen mutig nach vorne, blicken dankbar zurück und jeder schaut für sich nach innen. Wo stehe ich persönlich, wohin geht meine Reise und für was bin ich besonders dankbar? Was bedarf auch der Heilung und des Heilwerdens?
„Alles hat seine Zeit“, heißt es im Buch Kohelet. Es ist eine Kunst den Kairos, den rechten Augenblick für das Handeln zu erkennen und zu nutzen. Es bedarf der Gabe der Unterscheidung und der Gabe des Mutes, das für richtig Erkannte auch wirklich zu tun. Wir stehen im Transformationsprozess unseres Mutterhausareales. Viele Entscheidungen müssen angedacht und getroffen werden. Eine wichtige Entscheidung 2019/20 war das Schließen der Krankenabteilungen im Mutterhaus und der Umzug ins Stadthaus „San Damiano“ auf der anderen Straßenseite. Es war ein mutiger Schritt, aber auch ein gelungener Schritt. Den Schwestern geht es im neuen Haus gut. Auch sie fühlen sich anders wahrgenommen.
Unser Pflegeheim Haus Bethanien - immer noch in der Umbauphase – und das Haus „San Damiano“ im Neuanfang haben uns im ersten halben Jahr 2021 sehr viele Sorgen bereitet. Die Angst vor dem kleinen Corona - Virus war unser ständiger Begleiter. Und dann erkrankten doch einige unserer Schwestern. Wir durften sie nicht besuchen. Nun, wie schaffen wir es mit den Auswirkungen der Pandemie umzugehen? Sind unsere Mitschwestern und unsere Bewohnerinnen und Bewohner gut versorgt? Wie geht es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Leben und Tod haben sich die Hand gereicht. Mitschwestern, Bewohnerinnen und Bewohner haben uns für immer verlassen. Bedingt durch die Corona Regelungen konnten wir uns nicht, wie sonst üblich, mit unseren Ritualen von unseren lieben Verstorbenen verabschieden.
Und doch haben wir in den Krisenzeiten immer eine große Zuversicht verspürt. Eine Schwester sagte einmal zu mir: „Gell Schwester, das Mutterhaus und unsere Häuser stehen auf festem Grund, auf gutem, heiligem Boden.“ Das war sodann auch unser Thema.
„Zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ sagt Gott zu Moses (Exodus 3,14). „Heiliger Boden“ – das ist der Ort, wo du lebst, wo du erfährst, dass du zu Hause bist. Wo ich zu Hause bin, da fühle ich mich geborgen, bin ich umsorgt. Es wird mir mit Achtung und Wertschätzung begegnet. Ich bin daheim. Auch dann, wenn nicht alles so verläuft, wie wir es erhofft haben.
Die Corona-Zeit hat uns verändert. Als betende Gemeinschaft haben wir uns vermehrt auf unser franziskanisches Charisma besonnen. Die Szene in San Damiano in Assisi: „Baue meine Kirche auf, stelle mein Haus wieder her!“ ist uns in den Sinn gekommen, als wir im Brief von Kardinal Marx an Papst Franziskus den Satz gelesen haben, die Kirche „sei an einem gewissen ‚toten Punkt‘ angekommen, der aber auch zu einem ‚Wendepunkt‘ werden kann.“ Erkennen wir den Wendepunkt der Kirche? Erkennen wir den Wendepunkt an dem wir als Gemeinschaft stehen?
Die Portiunkula-Kapelle war der Ort der Sendung und des Aufbruchs der jungen franziskanischen Gemeinschaft. Situationen, die für Franziskus aussichtslos waren, wurden zum fruchtbaren Wendepunkt in seinem Leben und lassen den franziskanischen Lebensentwurf reifen.
„Entwürfe leben von großen Linien, von Zielen, Werten, Grundhaltungen. Sie haben stets das Ganze im Blick und darum manchmal eine Nähe zum Traum und zur Utopie. Ihre verändernde Kraft entfalten sie dort, wo sie in alltäglicher Lebensgestaltung konkret werden. Dann wird ein Entwurf zum Lebensentwurf und zum Lebensstil. Franziskus von Assisi steht seit 800 Jahren für große Inspirationen: Freude an Gott, universale Geschwisterlichkeit, Dialog und Versöhnung, Solidarität mit den Armen, einfaches Leben. Was das konkret heißt, muss jede Generation neu bestimmen.“ schrieb Cornelius Bohl OFM im Magazin Franziskaner (Sommer 2021).
Auch als alt gewordene Gemeinschaft müssen wir diese Werte neu in unser Leben übersetzen. Auf der Grundlage der franziskanischen Werte gehen wir an die Umgestaltung unseres Mutterhausareales. Unsere Vision:
„Spirituell - Sozial – ökologisch –
Gott und der Mensch im Mittelpunkt –
Achtsamkeit im Umgang mit Gottes Schöpfung.
Was bleiben soll, was werden soll: Sicherung der Lebensort(e) der Schwestern, unserer Spiritualität und Wirken
Was geschaffen werden soll: Lebensräume für Frauen und Männer, die mit uns das Leben teilen und leben wollen in der franziskanischen Spiritualität, ein Soziales Zentrum für Menschen in Not und Öffnung des Quartiers nach außen, wie immer das auch aussehen wird.
Wir Schwestern haben ein Ritual entwickelt und eingeübt. Der Donnerstag in jeder Woche ist unser Gebetstag um eine gute Zukunft unserer Gemeinschaft, Kirche und Welt. Den Abend beschließen wir mit einem feierlichen Abendgebet. Einmal im Monat gestalten wir einen geistlichen Tag mit entsprechenden Impulsen. In diesem Jahr geht es um die Kultur des Willkommens und der Gastfreundschaft.
Neues hat bereits schon begonnen. Neue Gruppen sind bei uns im Haus St. Martin eingezogen: Verwaltungsmitarbeiter des Medizinischen Versorgungszentrums des Ortenauklinikums und das Familien- und Seniorenbüro, Gengenbach.
Abschied und Neubeginn reichen sich bereits die Hand.
Wir gehen mit großer Zuversicht den Weg weiter und versuchen das Mutterhausareal so zu gestalten, dass es für die Menschen ein Ort der Ruhe, der Begegnung mit Gott und der Welt wird. Es begleitet uns dabei ein Vers von Jochen Klepper (* 1903 + 1942):
Ja, ich will euch tragen
bis zum Alter hin.
Und ihr sollt einst sagen,
daß ich gnädig bin.
Denkt der frühern Jahre,
wie auf eurem Pfad
euch das Wunderbare
immer noch genaht.
Laßt nun euer Fragen,
Hilfe ist genug.
Ja, ich will euch tragen,
wie ich immer trug.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Sommerzeit – wir haben uns lange nicht gesehen und uns ausgetauscht.
Herzliche Grüße
Ihre Schwester M. Michaela Bertsch
Generaloberin